Gegen das Auseinanderfliegen unserer Gesellschaften - "der beste Bürgermeister der Welt" räumt auf

Überall rennen wir uns den Kopf an mit der Frage, was tun gegen die rechten Spalter, gegen islamistische Verbrecher, gegen das Auseinanderfliegen unserer Gesellschaften. Und dann traf ich einen, der wirklich eine praktische politische Antwort darauf hat. Mitreißend: Bart Somers, der "beste Bürgermeister der Welt". Dazu hat ihn der Weltverband der Bürgermeister 2016 gewählt. Warum?

Bart Somers von der Liberalen Partei, Bürgermeister von Mechelen, kombiniert klassisch "rechte" und "linke" Politikmittel mit Erfolg.

Bart Somers von der Liberalen Partei, Bürgermeister von Mechelen, kombiniert klassisch "rechte" und "linke" Politikmittel mit Erfolg.

Ich treffe Bart Somers in seinem Bürgermeister-Office, einem großen, modernen Büro im 500 Jahre alten Rathaus von Mechelen, und mache mich mit ihm auf Stadtspaziergang. Er ist seit siebzehn Jahren im Amt, und die Menschen - das kann ich sofort live erleben - verehren ihn. Wo er auch hinkommt, wird er angesprochen, vom Geschäftsmann genauso wie von der Radfahrerin oder dem Paar, das gerade geheiratet hat. "Das sind armenische Einwanderer", sagt Somers, "unsere drittgrößte Gruppe nach den christlichen Türken und muslimischen Marrokanern."

Was macht seine Arbeit so erfolgreich? Warum kommt er bei Alteingesessenen und Zuwanderern so gut an?

„Als ich 2001 Bürgermeister wurde", sagt er mir im Interview, "war Mechelen eine kranke Stadt. Sie hatte einen schlechten Ruf, war dreckig und kriminell. Die Mittelklasse wanderte ab. Das Erste, was ich ändern musste: das Vertrauen der Bürger wieder herzustellen. Wer in Stadtvierteln aufwächst, in denen statt des Rechtsstaats das Gesetz des Dschungels regiert, fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen.“

Mechelen um die Jahrtausendwende, eine komplett andere Stadt: Leerstehende Geschäfte, Gangs, die Stadtviertel unsicher machen, 1.500 Autoeinbrüche pro Jahr. Die erzkatholische Stadt hat in den Jahrzehnten zuvor Zigtausende Gastarbeiter für ihre Industriebetriebe herangeholt. Damals leben sie wie in den Nachbarstädten Brüssel und Antwerpen in den Getthos der Stadt. Die Kriminalität ist enorm, Unsicherheit macht sich in den Straßen breit.

„Ich habe in die Polizei investiert, in Kameras, und manchmal eine extrem strikte Nulltoleranz-Politik angewendet, um die Ordnung wieder herzustellen. Aber ich habe gleichzeitig auch die Menschen zu mobilisieren versucht. Ich habe die Sicherheitsfrage nie gegen gewisse Gesellschaftsgruppen ausgespielt, wie die Populisten, sondern im Gegenteil: als Bindeglied.“

Somers setzt auf eine Kombination von rechter und linker Politik - ein Mix aus Rezepten, die normalerweise als unvereinbar gelten, einerseits knallhartes Durchgreifen, andererseits ernst gemeinte Integration. Polizeiteams sind in den Brennpunktvierteln unterwegs, suchen den Dialog, setzen ältere Straßenkids als Hilfssherrifs ein. Selbst Rückfalltäter kriegen eine Chance.

„Wir haben die zwanzig problematischsten Jugendlichen ins Auge gefasst und für jeden einzelnen einen eigenen Polizisten abgestellt. Bei jedem Fehler, den sie machen, werden sie sofort kompromisslos dem Richter vorgeführt. Aber im selben Moment bieten wir ihnen Chancen. Sie sind aus der Schule geflogen? Dann suchen wir ihnen eine neue Schule. Wir glauben fest, dass man mit Zuckerbrot und Peitsche die Einstellung der Leute verändern kann.“

Wenn man heute durch die Innenstadt spaziert, kann man sehen, wie diese Politik aufgegangen ist. Mechelen ist eine wohlhabende Stadt, die Straßencafés sind voll, Boutiquen und Einrichtungsgeschäfte reihen sich aneinander, die alten Fassaden wirken wie aus dem Ei gepellt. Und in den Außenbezirken?

Acht Jugendzentren gibt es in Mechelen, zu einem nimmt mich Bart Somers in seinem Auto mit. Geleitet wird es von Sozialpädagoge Labsir Abdrahman, der selbst Sohn von marokkanischen Zuwanderern ist und ebenso perfekt Flämisch wie Englisch spricht. Abdrahman sagt, dass man die Ghettostrukturen auflösen kann, wenn man die Kinder bereits im frühen Alter zusammen bringt. So dringt man auch ins Wertesystem der konservativsten Muslime ein.

„Vor allem muss man Vertrauen herstellen", erklärt er. "Bei Menschen, die konservativ eingestellt sind, ist das zwar schwieriger als bei fortschrittlichen. Aber wenn sie sehen, dass man gute Arbeit mit den Kindern macht, gewinnt man ihr Vertrauen und damit ihre Herzen."

Somers nickt. Und fügt einen der wichtigsten Gedanken in der Debatte um Europa und den Islam hinzu:

"Man kann viele Verbündete finden, die sagen: Ich bin zwar ein stolzer Moslem, aber ich bin auch ein stolzer Europäer, der an die Aufklärung glaubt. Da besteht kein Konflikt. Diese Menschen bauen die Brücken. Sie brauchen wir.“

Während sich in Nachbarstädten wie Molenbeek, nur eine halbe Stunde entfernt, mehrere hundert Jugendliche dem IS angeschlossen haben, so auch die Attentäter von Paris und Brüssel, hat sich aus Mechelen kein einziger radikalisiert. Natürlich war der Erfolgsweg von Bart Somers kein Spaziergang. In seinem Buch "Zusammen leben" beschreibt er ebenso leidenschaftlich wie ehrlich, wieviel Widerstände er zu überwinden hatte. Und dass seine Politik auch heute kein Selbstläufer ist. Als er anfing, war er 37, heute, mit 54, steht er vor der vierten Amtsperiode. Heute leben in Mechelen Menschen aus 130 Nationen friedlich zusammen, aber die Erziehung zum Rechtsstaat, sagt er, hört nie auf. Wir alle müssen begreifen, dass Integration ein gegenseitiger Prozess ist, der nicht nur von den Zuwanderern zu leisten ist.

Im "Hof van Busleyden", einem wunderbaren Backstein-Renaissance-Palast, ist das Stadtmuseum von Mechelen untergebracht. Dies ist die abschließende Station des Rundgangs, zu dem mich der "beste Bürgermeister der Welt" mitgenommen hat. Der Besuch hat Symbolcharakter. Der einstige Palastbesitzer, der Geschäftsmann von Busleyden, war Humanist und Mäzen und verkehrte mit Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus. Mechelen war zu dieser Zeit der Sitz des obersten Gerichtshofes. Daran erinnert eine Ausstellung, die im Rahmen des Stadtfestivals "Op.Recht.Mechelen" stattfindet: "Call For Justice - Ruf nach Gerechtigkeit". Die Ausstellung zeigt zahlreiche Objekte, die die Idee der modernen Rechtssprechung illustrieren. Worauf diese beruhrt, lernt gerade eine Gruppe von Kindern in einem Museumsworkshop unter Leitung von Siel Meulendijks: nämlich dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Ein Kind hat die Augen verbunden, genau wie die Justitia auf den Gemälden, und diskutiert mit den anderen über Vorurteile.

Bart Somers betont, dass der Gedanke dieser fundamentalen Gleichheit auch für alle gilt: für die, die seit Generationen hier angestammt sind und die erst in den letzten fünfzig Jahren hierher kamen.

„Meine Familie lebt hier seit 14 Generationen. Aber ich bin der Somers der ersten Generation, der in einem multiethnischen Mechelen lebt. Als ich geboren wurde, war Mechelen eine typisch weiße, flämische Stadt. Auch ich musste mich in die neue Wirklichkeit erst integrieren, wenn Sie so wollen. Aber ich bin absolut überzeugt, dass wir damit nur klar kommen, wenn wir alle zu echten Bürgern von Mechelen machen. Ich sage oft: Wir müssen sie für unsere Gesellschaft rekrutieren – damit die Extremisten sie nicht mehr für ihr totalitäres Denken rekrutieren können. Wir müssen für unsere fundamentalen Werte eintreten: Gleichheit und Rechtsstaat, Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Hier dürfen wir niemals nachgeben. Das heißt aber zugleich: Wir dürfen nicht jede unserer Traditionen zu einem Fundamentalwert erheben. Denn dann machen wir den Fehler der Salafisten: Wir frieren unsere Gesellschaft ein, wir sagen, nichts darf sich mehr ändern. Wenn wir so starr denken, zerstören wir die Freiheit. Unsere Gesellschaft ist auf Freiheit errichtet. Freiheit bedeutet Veränderung. Wir haben immer in der Geschichte unsere Einstellungen, Verhaltensweisen und Traditionen verändert, um neuen Chancen Raum zu geben. Also: Gib niemals die fundamentalen Freiheitswerte auf – aber meißle nicht jede Sitte und Tradition in Stein. Sonst würden wir das zerstören, was typisch westlich ist: eine Gesellschaft, die auf Freiheit und Offenheit beruht."

Ich verabschiede mich von Bart Somers und danke ihm für seine Zeit. Der Besuch hat mir gezeigt, dass seine Thesen nicht nur wohlklingende Ideen sind, die sich in Integrationsforen gut machen, sondern auch in der Wirklichkeit funktionieren. Es ist die Aufrichtigkeit und die Leidenschaft, mit der Bart Somers einen mitreisst. Und die einen glauben lässt, dass sich seine Politik nicht nur auf eine Kleinstadt wie Mechelen anwenden lässt, sondern auf die ganze europäische Gesellschaft.

"Zusammen leben - Meine Rezepte gegen Kriminalität und Terror" ist im C.H. Beck Verlag erschienen.